Alte Bäume in Deutschland: Die „Hüter der Zeit“
Seit zwanzig Jahren besuche ich alte Bäume in Deutschland. Mein großes Fotografie-Projekt führte mich zu uralten Eichen und Linden, zu gewaltigen Mammutbäumen, zu knorrigen Süntelbuchen, zu verwunschenen Ulmen und Weiden, aber auch zu alten Apfel- und Birnbäumen. Einige stehen offen auf freiem Feld und laden zum Besuch ein, andere haben ein Versteck im Wald und wollen erwandert und gefunden werden. Manche sind lokale Berühmtheiten, zu denen ausgeschilderte Wanderwege führen, von anderen weiß man nicht einmal etwas im nächstgelegenen Dorf.
Sie alle sind im Laufe der Jahrhunderte zu Individuen geworden, zu unverwechselbaren Baum-Persönlichkeiten. Die beeindruckendsten von ihnen habe ich im Buch „Hüter der Zeit“ versammelt, das 2018 im Verlag Frederking & Thaler erschien.
Alte Bäume erzählen Geschichten
Immer schon haben alte Bäume eine ganz starke und besondere Faszination auf uns Menschen ausgeübt. Die ältesten und stärksten wurden früher als Heiligtümer oder Gottheiten verehrt. Der erhabenen Ausstrahlung eines fünfhundert oder womöglich gar tausend Jahre alten Baum-Methusalems erliegt aber auch ein denkender und fühlender Mensch von heute. Wir bewundern ihre Schönheit – und ihre stille Kraft, mit der sie die Jahrhunderte überlebt und sich dabei stetig weiter entwickelt haben.
Alles, was sie dabei erlebt haben, steckt heute noch in ihnen. Die alten Bäume sind „Hüter der Zeit“. Was haben sie gesehen? Was könnten sie uns erzählen? Ganz unwillkürlich stellt sich diese Fragen jeder Mensch, der alten Bäumen begegnet. Die Zeit der Bäume relativiert unsere Zeit, verleiht ihr ein anderes Maß.
Handkolorierte, einzigartige Portraits
Deshalb spielt die Zeit auch eine ganz wichtige Rolle bei der Technik, die ich gewählt habe, um die Erhabenheit und Entrücktheit, aber auch die würdevolle Aura der alten Bäume in Deutschland zu betonen: die handkolorierte Schwarz-Weiß-Fotografie. So wie es der Sinn eines guten Portraits ist, nicht nur das Äußere eines Menschen abzubilden, so ist es auch das Ziel meiner Arbeit, das Wesen des Baumes zu erfassen, seine Seele darzustellen. Den Bäumen durch das aufwändige Kolorieren auch der kleinsten Details ein zweites Mal zu begegnen und ihnen dabei näher zu kommen, sie „Blatt für Blatt“ aufzunehmen, ist eine Art zeitloser Meditation – sowohl für mich als Fotograf wie auch für den Betrachter.